Die Stress Free Konsultation

Der Besuch beim Tierarzt ist für das Tier oft ein stressiges Ereignis, wie wir im vorherigen Artikel gesehen haben. Nach dem Wartezimmer wird das Tier in den Untersuchungsraum gebracht. Die klinische Untersuchung ist für das Tier eine Reihe von unangenehmen Erfahrungen:

  • Es wird aus seinem Kokon geholt und von fremden Händen fixiert, die noch nach Desinfektionsmittel riechen.
  • Mund, Augen, Ohren, Bauch und sogar die Genitalien werden angefasst.
  • Die Instrumente sind kalt, manche tun sogar weh, z. B. Nadeln.

Dabei wird der Stress des Tieres, der mit jedem Eingriff steigt, nicht ausreichend berücksichtigt. Auch wenn einige unangenehme Maßnahmen für die Behandlung des Patienten unumgänglich sind, ist es dennoch möglich, die Bilanz der Untersuchung weniger negativ ausfallen zu lassen. Die Vorteile einer weniger stressigen Untersuchung sind offensichtlich, sowohl für den Patienten als auch für die Tierärztin.

Was machen wir anders?

1. Sanfte Fixierung

Wir verwenden eine sanfte Fixierung, und wann immer möglich: gar keine. Manchmal brauchen wir Tücher. Wir lassen das Tier so weit wie möglich in seinem Kokon (= Transportkäfig), wenn es dies wünscht. Bewegungsfreiheit ist wichtig, um den Stress des Tieres zu reduzieren – wenn es sich festgehalten fühlt und die Kontrolle verliert, wird es Panik bekommen. Das Tier hat auch das Recht, nein zu sagen. Oft kann man einen anderen Weg finden, den es besser akzeptieren wird.

2. Das Tier hat die Wahl

Wir tolerieren seine Ausweichbewegungen in jeder Situation, in der dies möglich ist. Er muss das Gefühl haben, dass er die Wahl hat. Wenn wir ihm z. B. die Zähne ansehen wollen, darf er seinen Kopf bewegen, wenn man zu fest oder zu lange für ihn zieht. Auch wenn man 2-3 Mal statt nur einmal versuchen muss und die Untersuchung anfangs manchmal etwas länger dauert. Beim nächsten Mal weiß das Tier, dass es eigentlich gar nicht so schlimm war und wird die gleiche Untersuchung besser tolerieren. Wenn es aber einen Moment der Panik erlebt hat, seinen Kopf nicht aus der Hand der Tierärztin nehmen konnte und sie ihm vielleicht sogar Schmerzen zugefügt hat, ist das Tier geprägt und wird beim nächsten Mal noch mehr Angst haben, wenn sie ihm die Zähne untersuchen wird. Es wird sich wahrscheinlich noch mehr wehren und schwerer zu untersuchen sein.

Ein niedriger Stresslevel für ein paar Sekunden ist also besser als ein Augenblick Panik.

3. Langsämer geht schneller

Wir nehmen uns die Zeit und geben dem Tier ruhige Momente, in denen es nicht untersucht wird, damit es seinen Stresslevel senken kann. Die Tierärztin gibt dann den Eindruck, nichts zu tun. Aber diese Erholungsmomente sind unerlässlich. Es geht auch nicht darum, die Konsultation und damit den Stress und das Leiden des Tieres unnötig zu verlängern. Das Tier wünscht einfach, dass man es in Ruhe lässt. Diese Ruhepausen sind für das Tier daher ein eher positives Ereignis. Nicht alle Patienten brauchen oder genießen die. Die Häufigkeit und Länge (oft nur ein paar Sekunden) dieser Unterbrechungen wird auf jeden einzelnen Patienten angepasst und berücksichtigt sein individuelles Verhalten.

4. Geheimnis des Leckerlis

Wir bieten ihm positive Sachen an: Leckerlis, Streicheleinheiten, Spielzeug, freie Bewegung im Raum… was ihm in diesem Moment Spaß macht. Auch wenn es nicht frisst oder spielt, lenken diese Ereignisse das Tier von der Untersuchung ab und beruhigen es mit, weil das sind Sachen, die es kennt.

Das Leckerli ist ein sehr wichtiger Punkt in der Konsultation: Es kann flüssig sein, dann kann es immer wieder abgeleckt werden. Bei etwas gestressten Tieren werden manchmal mehrere, schnell verschluckbare Leckerbissen, wie z. B. Trockenfutter, angeboten. Der Geschmack jedes Patienten ist natürlich unterschiedlich.

Das Leckerli ist auch ein Stressbarometer: Wenn das Tier das Leckerli am Anfang der Konsultation frisst, dann aber plötzlich aufhört, wenn man ihm in die Ohren schaut, ist der Stresslevel zu hoch. Wir sollen ihm etwas Zeit geben, um wieder herunterzukommen, bis es das Leckerli wieder nimmt.

Oreo voll Futter
Leckeres flüssiges Futter ist DAS positive Ereignis der Konsultation

5. Angstlösende Medikation

Wenn es notwendig ist und der Stress nicht kontrollierbar ist, kann dem Tier für die nächste Untersuchung ein angstlösendes Medikament verschrieben werden. Das Ziel ist es, das Tier aus seiner völligen Panik herauszuholen, damit es wieder in der Lage ist, nachzudenken und die Situation mit einem ruhigen Kopf zu beurteilen. Es handelt sich keinesfalls um ein Sedativum, mit dem das Tier die Stresssituation zwar noch wahrnimmt, aber nicht mehr angemessen darauf reagieren kann.

Unter Gabapentin ansprechbar
Auch agressive Katze (darum die Schutzhandschuhen) werden nicht fixiert und bekommen leckeres Futter. Dieser Tigerpatient war unter angstlösende Medikation gut untersuchbar und frass gierig.

Wohlbefinden ist nicht unwichtig

Das Wohlbefinden des Tieres muss im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung durch Tierärzte stehen. Wenn man den Patienten respektiert, ist seine Erfahrung in der Sprechstunde weniger negativ (vielleicht sogar ein wenig positiv ?) und er ist beim nächsten Mal leichter zu untersuchen.