Wie stellt die Tierärztin eine Diagnose?

Wenn ein Tier krank ist, ist es auf den Besitzer angewiesen für die Erkennung seiner Symptome: frisst das Tier weniger oder langsamer, kaut es anders, lässt es Futterstücke fallen, verliert es an Gewicht, ist es ruhiger oder liegt nur noch herum ? Die Anzeichen sind nicht immer so leicht zu erkennen wie Durchfall oder Erbrechen.

Schließlich kommt den Termin bei der Tierärztin. Der Besitzer beschreibt ihr die Symptome so genau wie möglich, ohne etwas zu vergessen und in der richtige Reihenfolge. Die vielen Fragen, die die Tierärztin stellt, ermöglichen es, in dieser entscheidenden Phase des Tierarztbesuchs weiterzukommen. Denn der Patient selbst kann nicht über seine Krankheit sprechen. Es kommt auch vor, dass der Besitzer im Internet nach Informationen sucht, die manchmal unglücklicherweise seine Wahrnehmung und die Beschreibung der Symptome seines Tieres beeinflussen können.

Die Tierärztin führt dann eine klinische Untersuchung durch: Sie schaut sich die Augen, Zähne und Ohren an, hört das Herz und die Lunge ab, tastet den Bauch nach normalen Organen (Nieren, Leber, Dickdarm, Harnblase) und Anomalien (Masse, Darminhalt, Schmerzen) ab, bewegt Gelenke, testet Reflexe… Die Tierärztin nutzt ihre fünf Sinne, um die Symptome zu finden. Außerdem versucht sie, eine Diagnose zu stellen. Schließlich wählt sie die geeignete Behandlung aus, um das Tier zu behandeln. Die Fähigkeit einer Tierärztin, eine Diagnose zu stellen, ist von entscheidender Bedeutung, aber sie hängt nicht nur von der klinischen Untersuchung des Patienten und ihrem medizinischen Wissen ab.

Bücher gestapelt

Pattern recognition

Um eine Diagnose allein aufgrund der klinischen Untersuchung des Tieres stellen zu können, nutzt die Tierärztin ein sogenanntes «Pattern Recognition». Das heißt, dass die erkannten Symptome – die vom Tierbesitzer berichtet, aber auch visuell, durch Abtasten während der Untersuchung festgestellt werden – nur zu einer einzigen Krankheit führen, die sich genau so äußert, die mit allen Symptomen, die das Tier zeigt, übereinstimmt. Die Diagnose kann dann zweifelsfrei gestellt werden. Leider ist es selten so einfach!

Die von der Tierärztin festgestellten Symptome führen oft zu Dutzenden oder sogar Hunderten von Diagnosemöglichkeiten. Wie soll man da eine Wahl treffen? Es gibt zwei Möglichkeiten: Sie können einen probabilistischen Ansatz verfolgen oder weiterführende Untersuchungen durchführen, um mehr Informationen zu erhalten.

Labyrinthe bis zur Diagnose

Der probabilistische Ansatz

Beim probabilistischen Denken geht man davon aus, dass eine Diagnose aufgrund der Häufigkeit ihres Auftretens gestellt wird. Die Diagnose wird mit Betrachtung der Patientenspezifikation (seiner Art, seinem Alter und seinem Geschlecht) auf die Krankheit fokussiert, die am häufigsten beobachtet wird, wenn das Tier die beschriebenen Symptome oder zumindest die meisten davon zeigt. Es ist überraschend, aber diese Methode wird angewandt, wenn keine weiteren Untersuchungen durchgeführt werden. Eine ältere Katze, die viel frisst, viel trinkt, aber an Gewicht verliert, leidet zum Beispiel mit großer Wahrscheinlichkeit an einer Schilddrüsenüberfunktion. Ohne Bluttests zur Bestätigung ist die Diagnose jedoch nicht sicher. Es könnte dann auch eine Diabetes oder eine Tumorerkrankung übersehen werden.

Eine Diagnose zu stellen ist also wie eine Detektivarbeit: Je mehr Anhaltspunkte man hat, desto größer ist die Chance, den Täter zu finden und ihn zu verhaften.

Dr Corsini am überlegen

Die weiterführende Untersuchungen

Blutentnahme, Urinanalyse, Ultraschall, Röntgen, CT, Endoskopie, Zytologie, Histologie… Die Palette der Tests, die der Veterinärmedizin heute zur Verfügung stehen, ist sehr ausführlich und ermöglicht uns, sehr nützliche Informationen für die Diagnose zu erhalten. Einige weiterführende Untersuchungen ermöglichen eine klare Diagnose, andere sammeln mehr Informationen, um die Liste der möglichen Krankheiten zu präzisieren und zu verkürzen. Ohne weiterführende Untersuchungen stützt man sich nur auf eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose und hat immer die Möglichkeit, sich zu irren. Daher sind diese Untersuchungen in vielen Fällen unverzichtbar.

3 Schnittebenen
CT des Kopfes bei einem Meerschweinchen

Wie sieht die Behandlung aus?

Im Idealfall wurde die Diagnose sicher gestellt und die geeignete Behandlung wird durchgeführt – und vom Besitzer natürlich verabreicht.

Wenn eine Diagnose nicht sicher gestellt werden konnte, wird ein Therapieversuch dann durchgeführt. Dies bedeutet, dass es anhang der Verdachtsdiagnose die Behandlung für die wahrscheinlichste Krankheit ausgewählt wird. So hat man die größte Chance, das Tier «adäquat» zu behandeln. Aber das bleibt nur Statistik. Die Diagnose und damit die Behandlung sind daher nicht immer die richtige. Am bestens hättet man schon weiterführende diagnostische Untersuchungen unternommen, um die richitge Diagnose zu stellen.

Man kann eine probabilistische Behandlung nur dann durchführen, wenn sie kein Risiko für den Patienten darstellt, wenn man sich irrt. Wenn z. B. ein Hund nach einem Sprung leicht humpelt, liegt wahrscheinlich eine entzündliche Weichteilschädigung vor und einige Tage mit einer entzündungshemmende Behandlung sollte das Problem rasch lösen. Wenn er nach/während diesem Therapieversuch immer noch lahmt, sollte ein weiteres Diagnostikverfahren (Röntgenaufnahmen) durchgeführt werden, um die Diagnose zu präzisieren und eine Fraktur oder einen Bänderriss auszuschließen.